"Volksnah": Es gibt Wichtigeres

Bei den Salzburger Festspielen geht es heuer um Mechanismen der Macht. Aber nicht nur dort.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Es ist noch nicht lange her, da waren andere Fähigkeiten für Politiker wichtiger

von Gert Korentschnig

über die 'Volksnähe' der Politik

Für einen wichtigen intellektuellen Beitrag sorgte in dieser Woche der Autor Ferdinand von Schirach bei seiner Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele. "Alle Macht geht vom Volke aus", sagte er und äußerte gerade darob auch Skepsis. Der Volkszorn könne nämlich jederzeit aufgestachelt werden, zum Beispiel von Demagogen: "Er ist unberechenbar, wild und brutal, eine kleine Kränkung reicht dafür aus." Auch das Internet und soziale Medien hätten "das Gefüge der Demokratien grundlegend verändert". Dadurch seien Bürger nicht mehr nur Empfänger, "sondern wurden zu sehr mächtigen Sendern". In diesem Zusammenhang warnte Schirach vor "Schwarm-Intelligenz", vielleicht trifft es der Begriff "Schwarm-Dummheit" sogar noch besser.

Warum diese Überlegungen heute so wichtig sind? Weil viele Politiker glauben, bei dieser sozialmedialen Entwicklung mitmachen zu müssen. Und weil auch viele klassische Medien (oder solche, die sich so nennen) Politiker unter Druck setzen, wenn sie das nicht tun.

Zu jedem Unsinn, zu jeder absurden Behauptung irgendeines Populisten, zu jedem lächerlichen, bestenfalls regional-, nein provinzpolitischen Vorstoß holen Boulevardisten die Meinung der Volksvertreter ein und versuchen, daraus Konflikte zu konstruieren. Je größer dann die Erregung, vor allem im hasserfüllten und zu seriösen Debatten unfähigen Netz, desto besser.

"Nicht einer von uns"

Mehr oder weniger zeitgleich mit der Rede von Schirach wurde die Studie einer Trendagentur veröffentlicht, die das Image von Kanzler Christian Kern und Kanzlerkandidat Sebastian Kurz bei jungen Menschen (16 – 24) untersucht hatte. Eines der zentralen Ergebnisse lautet, dass beide nicht sonderlich volksnah seien. 51 Prozent gaben an, weder Kern, noch Kurz sei "einer von uns".

"Volksnah" – was bedeutet das eigentlich? Heißt es, dass von Politikern immer noch erwartet wird, dass sie auf Zeltfesten (wie früher Haider und heute seine Nachfolger) Standfestigkeit beweisen? Heißt es, dass sie Trikots mit den Namen österreichischer Fußballerinnen tragen müssen, wenn diese ein Tor schießen? Impliziert es, dass sie keine Aufführung bei den hochsubventionierten Festspielen besuchen dürfen, weil sich dort ohnehin nur die Großkopferten, die G’stopften aufhalten?

Was ist, in Zeiten der Diversifizierung und Aufsplittung in tausend Interessensgruppen, heute überhaupt das "Volk"? Und wie nah ist "nah"? Reicht es nicht, Verständnis für Sorgen und Bedürfnisse der Menschen zu haben, ohne sich anzubiedern?

Es ist noch nicht lange her, da waren andere Fähigkeiten für Politiker wichtiger: Verstand, analytisches Denken, klare Werte, die Gabe, Dinge umzusetzen, ein Auge für das große Ganze zu haben und nicht nur für Mikrothemen im Netz, durchaus Distanz also. Und Elite war kein Schimpfwort, sondern eine Auszeichnung.

Man kann sich nur wünschen, dass bei der kommenden Wahl letztlich doch Qualität und Kompetenz die entscheidende Rolle spielen und nicht Volksnähe.

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